STRUKTUR­WANDEL

Strukturwandel ist ein komplexes Phänomen. Seit der industriellen Revolution sehen wir immer dynamischere Wirtschaftssysteme, in denen sich wesentliche Kennzahlen zu Produktivität, Konsum, Investitionen oder Beschäftigung permanent verändern.1 Damit einhergehend zeichnet sich Strukturwandel dadurch aus, dass die verschiedenen Wirtschaftszweige unterschiedlich stark wachsen und sich dadurch in ihrer Zusammensetzung komplementär verändern.

Im sektoralen Strukturwandel, über den wir alle in der Schule gesprochen haben, haben sich die Volkswirtschaften von der landwirtschaftlichen Produktionsweise über die vorherrschend industrielle Produktionsweise zur Dienstleistungsgesellschaft entwickelt.2 Für den aktuellen Zeitraum wird in der Literatur von der Wissensgesellschaft3 oder auch von unserem Eintritt in das digitale Zeitalter gesprochen.4

Ein einheitliches Verständnis zum regionalen Strukturwandel hat sich bisher nicht etabliert. Er kann jedoch beschrieben werden, als Prozess, der Potentiale, Kompetenzen und Fähigkeiten sowie Zusammenhänge und Infrastrukturen innerhalb einer Region verändert.5 

Oft folgt der regionale Strukturwandel auch dem sektoralen Strukturwandel, indem regional bedeutende Wirtschaftszweige durch veränderte Angebots- und Nachfragebedingungen an Bedeutung verlieren.6

 

WARUM SPRECHEN WIR VON OSTFRIESLAND ALS STRUKTURSCHWACH?

Aurich Leer Ammerland Cloppen-burg Oldenburg Bremen Verden Diepholz Celle Gifhorn Heidekreis Harburg Hamburg Lüneburg Lüchow-Dannenberg Uelzen Osterholz Stade Cuxhaven Rotenburg(Wümme) Nienburg(Weser) Schaum-burg Hameln-Pyrmont Wolfen-büttel Helm-sted Peine 2 1 3 Hannover Hildesheim Holzminden Northeim Göttingen Goslar Bremer-haven Vechta Osnabrück Emsland Grafschaft Bentheim Fries-land Weser-marsch Wittmund 5 8 6 4 7
GRW-Fördergebiete 2022-2027
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Abbildung 1: GRW-Fördergebiete Niedersachsen 2022-2027 [7]

Ostfriesland ist GRW-Fördergebiet. GRW bezeichnet die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.8

„Die GRW ist das zentrale Instrument der nationalen regionalen Wirtschaftspolitik. Indem in den ausgewählten Regionen insbesondere Investitionen der gewerblichen Wirtschaft und in die kommunale wirtschaftsnahe Infrastruktur gefördert werden, trägt sie dazu bei, den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland umzusetzen. Durchgeführt wird die GRW durch die Länder; der Bund gestaltet den Förderrahmen mit und trägt die Hälfte der Ausgaben. In diesem Jahr (2021, Anm. der Autorin) stehen inklusive der 250 Mio. Euro aus dem Konjunktur- und Zukunftsprogramm insgesamt 918 Mio. Euro Bundesmittel bereit.“9

 

Damit hat Ostfriesland mehr Ansprüche auf gewisse Zuschussprogramme für GRW-Fördergebiete. Das spiegelt sich in der Förderstatistik der N-Bank (Investitions- und Förderbank Niedersachsens) auch wieder in einem erhöhten Anteil von Förderungen in Form von Zuschüssen in Ostfriesland im Vergleich zum Rest Niedersachsens. Auf Landesebene machten Kredite einen höheren Anteil am Fördervolumen aus (Abbildung 3).11

Abbildung 2: Fördervolumen je 100 Einw. in €
Abbildung 3: Anteil der Förderleistungen für Ostfriesland an den Förderleistungen von Niedersachsen. Referenz: In 2021 machte Ostfriesland ca. 5,8% der Bevölkerung sowie 6,6% der Fläche Niedersachsens aus. [10]

Die GRW Fördergebiete werden regelmäßig durch den Bund-Länder-Koordinierungsausschuss neu abgegrenzt, damit sich die Förderung jeweils auf die bedürftigsten Regionen konzentriert. Zugrunde gelegt werden dabei Indikatoren, die sich auf die Arbeitsmarktregionen (AMR) unter Berücksichtigung von Pendlerverflechtungen als geographische Einheit beziehen.12 Die Einteilung in Fördergebiete erfolgt allerdings auf der Ebene der politischen Raumeinheiten Kreise und kreisfreie Städte, da Verwaltung und Politik hier Verantwortung übernehmen.13

Für die beiden vorangegangenen Förderperioden 2007-2013, 2014-2020 wurden dazu die folgenden Indikatoren berücksichtigt:

Bereich Indikator Gewicht in % Quelle
Einkommen Durchschnittlicher Bruttojahreslohn je Beschäftigten 2010 40 Bundesagentur für Arbeit
Arbeitsmarkt Durchschnittliche Arbeitslosenquote im Zeitraum von 2009-2012 45 Bundesagentur für Arbeit
Prognose des Arbeitsmarktes Erwerbstätigenprognose für den Zeitraum 2011-2018 7,5 Bade (2011)
Infrastruktur Infrastrukturindikator 2012 7,5 BBSR (2012)
Tabelle 1: Komponenten des GRW-Gesamtindikators für die Förderperiode 2014-2021. [14]

Die ersten beiden Indikatoren zeigen hier den Entwicklungsstand der wirtschaftlichen Tätigkeit in den AMR und damit eher ein Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeit in den Regionen. Die Erwerbstätigenprognose stellt eine Mischung aus Ergebnis der wirtschaftlichen Tätigkeit (Erwerbstätige ziehen dorthin, wo sich Ihnen Möglichkeiten bieten) und Inputfaktor (Humankapital) dar. Der Infrastrukturindikator, der sich aus acht Einzelindikatoren zusammensetzt, stellt eher einen Inputfaktor dar, indem Unternehmen in gut ausgestatteten Regionen ohne zusätzliche Kosten Produktivitätsgewinne erzielen können.15

Für die laufende Förderperiode 2022-2027 wurden die Indikatoren zur Anpassung an die neuen Herausforderungen durch die demographische Entwicklung und an die wirtschaftsnahe Infrastruktur (Digitalisierung) weiterentwickelt. Dabei wurde auch dem „Zusammenhang zwischen regionaler Strukturschwäche und geringer Innovationsaktivität“16 Rechnung getragen.17

 

Bereich Indikator Gewichtung Quelle
Einkommen Produktivität 37,5 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder
Arbeitsmarkt Arbeitslosigkeit durch die durchschnittliche Unterbeschäftigungsquote beschrieben 37,5 Bundesagentur für Arbeit
Prognose des Arbeitsmarktes / Demografie Erwerbsfähigenentwicklung 17,5 BBSR
Infrastruktur Ausstattung mit hochrangingen Verkehrsinfrastrukturen, Breitbandinfrastruktur (größer 100 Mbit/S), MINT-Beschäftigte 7,5 BBSR, TÜV Rheinland/BMVI, Bundesagentur für Arbeit
Tabelle 2: Komponenten des zukünftigen GRW-Gesamtindikators für die Förderperiode ab 2022 [18]

Sehen wir uns also nun einmal Ausprägungen der ostfriesischen Gebietskörperschaften in diesen Indikatoren an:

GRW-Fördergebiete 2022-2027
Abbildung 4: GRW-Fördergebiete 2022-2027 in Niedersachsen[19]

 

Nach dem GRW-Gesamtindikator wurde die Region Ostfriesland, bestehend aus den Kreisen Aurich, Leer und Wittmund sowie der kreisfreien Stadt Emden durch den Bund-Länder-Koordinierungsausschuss als D-Fördergebiet und damit als förderungsbedürftig eingestuft. Ob sich für die Region dadurch an anderer Stelle Vorteile ergeben, bleibt nachzuvollziehen. Das Land Niedersachsen jedoch setzt in seiner „Einzelbetrieblichen Investitionsförderung (GRW/EFRE) Richtfördersätze des Landes Niedersachsen“ vom 01.05.2022 die Fördersätze für D-Fördergebiete mit denen für das restliche Landesgebiet gleich.[20]

Abbildung 5: GRW-Begünstigungen2007-2022 nach Investitionsort in den ostfriesischen Gebietskörperschaften. In gesamt Niedersachsen wurden im selben Zeitraum 742.844.775 € bewilligt. Damit wurden ca. 16% der GRW-Fördermittel Niedersachsens dieses Zeitraums in Ostfriesland investiert.[21]

Wirtschaftliche Leistungs­fähig­keit

Die Produktivität, gemessen als Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, misst die von den Erwerbstätigen erstellten Güter und Dienstleistungen pro Jahr. Sie ist damit ein Indikator für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Region.22

Für die ostfriesischen Gebietskörperschaften sehen wir in Abbildung 6, dass sich Emden auf einem hohen Niveau über den Mittelwerten von Bund und Land bewegt, während die drei Landkreise zwar dem steigenden Trend von Bund und Land folgen, aber in der Produktivität konstant 10.000 Euro und mehr pro Erwerbstätigen pro Jahr dahinter zurück liegen.

 

Abbildung 6: Entwicklung des GRW-Indikators Produktivität (Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen je Erwerbstätigen) der ostfriesischen Gebietskörperschaften im Vergleich zu Bund und Land von 2007 bis 2020. [23]

In Abbildung 7 sehen wir, dass Ostfriesland in 2018 bei der Ermittlung der Indikatoren für die neue Förderperiode 2022-2027 hier zu den schwächsten Regionen Westdeutschlands zählte.

Abbildung 7: Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen [€] 2018.24

Zur Unterbeschäftigung zählen neben den registrierten Arbeitslosen auch diejenigen Personen, die an Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik teilnehmen oder in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus sind, denen also ein reguläres Beschäftigungsverhältnis fehlt. Damit bildet die Unterbeschäftigungsquote das Defizit an regulären Arbeitsplätzen besser ab, als die reine Arbeitlosenquote.26

Während sich die Kurven für Bund und Land ebenso wie der Landkreis Wittmund einer Vollbeschäftigung annähern, fallen die Kurven für Leer und Aurich auf höherem Niveau etwas flacher ab. Emden zeigt eine stabil hohe Unterbeschäftigung mit sehr flach fallender Tendenz.

 

Abbildung 8: Unterbeschäftigungsquote (Unterbeschäftigte je 100 Erwerbstätige) [25]

Bevölkerungs- / Erwerbs­fähigkeits­entwicklung

Der demographische Wandel einer Region umfasst die Prozesse der natürlichen Bevölkerungsentwicklung, aber auch Wanderungsbewegungen zwischen den Regionen. Dabei stellt speziell die Entwicklung der erwerbsfähigen Bevölkerung im Alter von 20 bis unter 65 Jahren mit dem entsprechenden Angebot an Arbeitskräften einen wichtigen Faktor für das Potential zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dar.28 Abbildung 9 zeigt, dass Ostfriesland in den Vorausberechnungen bis 2042 vom demographischen Wandel noch etwas stärker betroffen sein wird, als der bundesdeutsche Schnitt.

 
Abbildung 9: Bevölkerungsentwicklung, Vorausberechnungen bis 2042 nach Altersgruppen für Ostfriesland und Deutschland.27

Entwicklung der Erwerbstätigen

 
Abbildung 10: Entwicklung der Zahl der Erwerbsfähigen 2017 bis 2040 (2017=100) in den 223 AMR Deutschlands [%]. 30

 

Emden, Aurich und Leer müssen in den Vorausberechnungen bis 2040 mit einer Abnahme der Erwerbsfähigen um 10–15 Prozent rechnen. Wittmund ist mit einer Abnahme um 15-20% noch etwas stärker betroffen (Abbildung 10).

 

 
Abbildung 10: Entwicklung der Zahl der Erwerbsfähigen (20 – unter 65 Jahre), 2015 bis 2035 (2015 = 100). Zugrunde liegen die AMR für die Förderperiode 2014-2020. Hier gehörte der Landkreis Wittmund noch zur AMR Wilhelmshaven (WHV).29 Deshalb ist WHV hier aufgeführt.

Infrastruktur

Die Ausstattung mit wirtschaftsnahen Infrastrukturen stellt einen besonderen Faktor für die Chancen zur wirtschaftlichen Entwicklung einer Region dar und kann durch die regionale wirtschafts- und Strukturpolitik beeinflusst werden. Für den GRW Indikator werden dazu Verkehrsinfrastrukturen und Erreichbarkeiten (Erreichbarkeit etwa von Beschaffungs- und Absatzmärkten aber auch Arbeitsmärkten sind eine wesentliche Determinante für wirtschaftlichen Erfolg), Breitbandinfrastruktur sowie die Ausstattung mit Humankapital und Wissen als Basis für Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationspotential berücksichtigt.31

Abbildung 11: Erreichbarkeitsdefizite im Motorisierten Individualverkehr (MIV), gemessen in PKW Fahrzeit zum nächsten Oberzentrum in Minuten im Jahr 2020.32

 

Die nächsten für Ostfriesland relevanten Oberzentren sind Oldenburg und Wilhelmshaven.33 Nicht überraschend leiden weite Teile Ostfrieslands, speziell im Landkreis Aurich unter großen Erreichbarkeitsdefiziten zu diesen Oberzentren. Wie sich das in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung auf die Entwicklungschancen auswirkt, bleibt abzuwarten.

Interessant ist noch, dass der GRW Indikator auf die Erreichbarkeit von Infrastruktur und Oberzentren im Inland, also in Deutschland, bezieht.34 Anzumerken sei an dieser Stelle, dass die Erreichbarkeit von Infrastruktur und Oberzentren in den Niederlanden, etwa mit der Nähe zu Groningen, hier nicht berücksichtigt ist. Im Rahmen eines weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenwachsens innerhalb der europäischen Gemeinschaft könnte dies für beide Seiten der Grenze Potential bergen.

 

Im Rahmen der Bemühungen und Notwendigkeiten zur Dekarbonisierung um etwa die Klimaziele der Vereinten Nationen zu erreichen, kommen dem ÖPNV sowie dem Schienenverkehr besondere Rollen zu.36 Sehen wir aber die Erreichbarkeitswerte für die ostfriesischen Gebietskörperschaften an, finden wir nicht nur höchste Erreichbarkeitsdefizite, sondern für den Landkreis Aurich sogar einen sogenannten „Mittelbereich ohne Schienenanschluss“ 37, zumindest für den Schienenpersonenverkehr.

Abbildung 12: Erreichbarkeitsdefizite im Schienenpersonenverkehr (SPV), gemessen in Reisezeit im SPV zum nächsten Oberzentrum in Minuten in 2020.35

 

Breitbandinfrastruktur

Die Anbindung an eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur ist heute eine Grundvoraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse, die Teilhabe and den Chancen der Digitalisierung, wie auch für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Regionen. Mit „der Digitalisierung verschiedener Verwaltungs- und Infrastrukturleistungen lassen sich eine bessere Auslastung, Zugänglichkeit und Barrierefreiheit erreichen.38

Aufgrund der zunehmenden Datengrößen für Internetanwendungen betrachten wir hier nur Techniken mit Breitbandverfügbarkeiten großer oder gleich 100 Mbit/s. In Abbildung 14 sehen wir, dass diese in den Städten Emden und Leer in 2021 schon gut verfügbar war, aber weite Bereiche des restlichen Ostfrieslands hier mit einer Verfügbarkeit in nur 10-50% aller Haushalte große Nachteile in Kauf nehmen mussten.

Zum Dezember 2022 wurde im Breitbandatlas des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr die Farbgebung geändert (insgesamt dunkler), aber auch in dem neuen Farbschema wird in Abbildung 14 deutlich, dass auch zu diesem Zeitpunkt in weiten Teilen Ostfrieslands weniger als 50 % der Haushalte über 100 Mbit/s verfügen.

Abbildung 13: Verfügbarkeit von Breitbandklassen größer oder gleich 100 MBit/s für die private Festnetznutzung unter Nutzung aller Technologien. Stand 16.04.2021.39

 

Abbildung 14: Verfügbarkeit von Breitbandklassen ≥100 MBit/s für die private Festnetznutzung unter Nutzung aller Technologien. Stand Dezember 2022.40

 

Abbildung 15: Verfügbarkeit von Breitbandklassen ≥1000 MBit/s für die private Festnetznutzung unter Nutzung aller Technologien. 
Stand Dezember 2022.41

Noch größere Nachteile werden deutlich, wenn wir uns die Verfügbarkeit von Breibandklassen größer 1000 Mbit/s ansehen, wie sie für heutige Datenvolumen, speziell für Homeoffice-Lösungen weitgehend Voraussetzung sind und im Wesentlichen über Glasfasertechnik erhältlich sind (Abbildung 15).

Auch die Unternehmen in Ostfriesland müssen warten, bis der Ausbau des Glasfasernetztes vorangeschritten ist (Abbildung 16).

Für Unternehmen in Gewerbegebieten sieht es laut Breitbandatlas noch schlechter aus (Abbildung 17).

Abbildung 16: Verfügbarkeit von Breitbandklassen ≥1000 MBit/s für die gewerbliche Nutzung bezogen auf alle Unternehmen unter Nutzung aller Technologien.
Stand Dezember 2022. 42
Abbildung 17: Verfügbarkeit von Breitbandklassen ≥1000 MBit/s für die gewerbliche Nutzung bezogen auf Gewerbegebiete unter Nutzung aller Technologien. Stand Dezember 2022.43

 

Allerdings ist dieses kein rein ostfriesisches regionales Problem. In Abbildung 18 zeigt die Statistik der OECD das hier auch noch stärkere nationale Hebel gefunden werden müssen.

Abbildung 18: Anteil von Glasfaseranschlüssen an Breitbandanschlüssen in Ländern der OECD, Februar 2023. [44]

Nach den Theorien der neuen ökonomischen Geographie sind „Wissen und entsprechend ausgebildetes Humankapital45 elementare Treiber für regionales Wachstum. Aus der Wissenserzeugung resultierende Innovationen werden als Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand betrachtet. Demnach wachsen Regionen mit höherem Humankapitalbestand schneller als dahingehen schlechter aufgestellte Regionen.46

Mit besonderer Bedeutung für die Innovationsfähigkeit einer Region und damit für die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven werden die MINT-Berufe aufgeführt. Damit sind Berufe aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gemeint. Sie sind häufig in „höherwertigen Positionen der (industriellen) Wertschöpfungsketten vertreten“. Für den GRW Indikator wird der Anteil an „höherwertigen“ MINT Dienstleistungsberufen an allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten herangezogen (im Folgenden kurz: MINT-Beschäftigte).47

Die MINT-Beschäftigung weist eine hohe positive Korrelation zu Internen Forschungs- und Entwicklungsausgaben durch Unternehmen auf, unterliegt aber nicht so hohen, auch förderungsmittelbedingten, Schwankungen wie diese. Außerdem kann die MINT-Beschäftigung als Indikator für die Ausstattung der Region mit Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur betrachtet werden, da die MINT-Beschäftigten eine bestimmte Infrastruktur benötigen, um Ihren Aufgaben nachgehen zu können. Statistisch zeigt der Anteil an MINT-Beschäftigten auch einen hohen positiven Zusammenhang zur Produktivität einer Region.48

Abbildung 19 zeigt, dass Ostfriesland bei diesem GRW-Teilindikator mit zu den schwächsten Regionen Deutschlands gezählt werden kann. 

Abbildung 19: MINT-Beschäftigte als Anteil an allen Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten [%] 2019.49

Ein weiterer Indikator, der in diesem Zusammenhang (aus Wissenserzeugung resultierende Innovationen und daraus resultierendes Wachstumspotential) eine wichtige Rolle spielt, ist der Personaleinsatz in Wissenstransfereinrichtungen. Leider ist er recht komplex zu ermitteln, weshalb er keine Berücksichtigung als GRW Indikator gefunden hat.50 Allerdings zeigen die Ergebnisse des BBSR aus 2017/18 in Abbildung 22, dass die Ausgangslage Ostfrieslands hier schlechter kaum sein könnte. Und dabei liegt das nächste etwas stärkere Zentrum in Bremen, das seinerseits im Vergleich zu anderen Wissenstransferzentren in Deutschland in Bezug auf die reine Personalquantität eher schwach aufgestellt ist. Aufgrund „der wachsenden technischen Komplexität innovativer Produkte, immer kürzer werdender Produktlebenszyklen, höherer Innovationsgeschwindigkeit (…) und verstärktem Kostendruck“ 51 wird die Unterstützung der Unternehmen durch ein „entwickeltes Wissenstransfersystem zwischen (…) Wissenschaft und Wirtschaft“ 52 dabei immer wichtiger.53

Abbildung 20: Personaleinsatz in Wissenstransfereinrichtungen je 10 000 Erwerbspersonen 2017/18, gemessen am Arbeitsort.54
Iwer, F.; Dispan, J.; Grammel, R. und Stieler, S. (2002): Strukturwandel und regionale Kooperation. In Koschatzky, K.; Kroll, H.: Innovationsbasierter regionaler Strukturwandel – Strukturschwache Regionen in Deutschland.
Kulke 2023, S. 4 ff.
Kulke 2023, S. 23.
Friedrichsen und Kohn, S. 56.
Iwer, F.; Dispan, J.; Grammel, R. und Stieler, S. (2002): Strukturwandel und regionale Kooperation. In Koschatzky, K.; Kroll, H. (2018): Innovationsbasierter regionaler Strukturwandel – Strukturschwache Regionen in Deutschland, S. 2.
Klodt 2018.
Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Referat 35 2022.
Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2023.
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2021.
LSN, N-Bank Förderstatistik, eigene Berechnungen.
N-Bank.
Vgl. Maretzke, S. et al: Anwendung von Regionalindikatoren zur Vorbereitung der Neuabgrenzung des GRW-Fördergebiets. 2021.
Vgl. Koschatzky et al: Innovationsbasierter regionaler Strukturwandel – Strukturschwache Regionen in Deutschland.2019. S. 6 f.
Quelle: BMWI, © ifo Institut; aus: Maretzke, S. et al: Betrachtung und Analyse von Regionalindikatoren zur Vorbereitung des GRW-Fördergebietes ab 2021 (Raumbeobachtung), 2019, S.7.
Maretzke, S. et al: Betrachtung und Analyse von Regionalindikatoren zur Vorbereitung des GRW-Fördergebietes ab 2021 (Raumbeobachtung), 2019, S.184 ff.
Koschatzky et al: Innovationsbasierter regionaler Strukturwandel – Strukturschwache Regionen in Deutschland.2019. S. 4.
Maretzke, S. et al: Betrachtung und Analyse von Regionalindikatoren zur Vorbereitung des GRW-Fördergebietes ab 2021 (Raumbeobachtung), 2019, S.184 ff.
Quelle: Darstellung GEFRA und ifo Institut, © ifo Institut; aus: Maretzke, S. et al: Betrachtung und Analyse von Regionalindikatoren zur Vorbereitung des GRW-Fördergebietes ab 2021 (Raumbeobachtung), 2019, S.185; Gewichtung aus Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2022.
Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Referat 35, 2022.
Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Referat 35, 2022.
Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung 2022, eigene Berechnungen, eigene Darstellung
Vgl. Maretzke, S. et al: Anwendung von Regionalindikatoren zur Vorbereitung der Neuabgrenzung des GRW-Fördergebiets. 2021, S. 9.
Vgl. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder 1992-2020 Arbeitskreis "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder" im Auftrag der Statistischen Ämter der 16 Bundesländer, des Statistischen Bundesamtes und des Statistischen Amtes Wirtschaft und Kultur der Landeshauptstadt Stuttgart. 2022, 2022, eigene Darstellung.
Aus Kawka, R. et al: Raumordnungsbericht 2021, Wettbewerbsfähigkeit stärken, BBSR (Hrsg.), S. 37.
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) 2023, eigene Darstellung.
Ebenda.
Quelle: Landesamt für Statistik Niedersachsen, statistisches Bundesamt. Hinweis: Die Werte von Deutschland beziehen sich auf den Stichtag 31.12. des Vorjahres des ausgewiesenen Jahres, während die der übrigen Gebiete sich auf den 1.1. des jeweils genannten Jahres beziehen. Diese Angleichung wurde für die grafische Aufbereitung vorgenommen, um die Daten mit unterschiedlichen Stichtagen besser vergleichen zu können.
Maretzke et al, S. 94.
Bevölkerungsprognose des BBSR 2012 bis 2035 aus GEFRA, ifo, BBSR (2019), „Daten zum Endbericht: Betrachtung und Analyse von Regionalindikatoren zur Vorbereitung des GRW-Fördergebietes ab 2021“.
Bevölkerungsvorausberechnungen des BBSR (2020), Berechnungen von BBSR, GEFRA und ifo Institut. Aus: Maretzke, S. et al: Anwendung von Regionalindikatoren zur Vorbereitung der Neuabgrenzung des GRW-Fördergebiets. 2021, S. 12.
Vgl. Maretzke et al, S. 119.
Aus Aus Kawka, R. et al: Raumordnungsbericht 2021, Wettbewerbsfähigkeit stärken, BBSR (Hrsg.), S. 116.
Kiepe 2017.
BBSR per E-Mail vom 21.06.2023.
Ebenda.
Umweltbundesamt 2023.
Kawka 2021.
Kawka 2021; Maretzke et al. 2021.
Verfügbarkeit' für die private Festnetznutzung. Die Ansicht ist gefiltert auf Breitbandklassen ≥100 MBit/s und alle Techniken. Ausschnitt aus dem Breitbandatlas des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. BNetzA 2022.
BNetzA 2022.
Ebenda.
Aktuelle Daten aus der Kategorie 'Verfügbarkeit' für die gewerbliche Festnetznutzung bezogen auf alle Unternehmen. Die Ansicht ist gefiltert auf Breitbandklassen ≥1000 MBit/s und alle Technologien. BNetzA 2022.
Aktuelle Daten aus der Kategorie 'Verfügbarkeit' für die gewerbliche Festnetznutzung bezogen auf Gewerbegebiete. Die Ansicht ist gefiltert auf Breitbandklassen ≥1000 MBit/s und alle Technologien. BNetzA 2022.
OECD 2023.
Thomas Stahlecker, Knut Koschatzky, Henning Kroll, Fraunhofer ISI.
Ebenda.
Maretzke et al. 2019, 2021.
Maretzke et al. 2019., S.201, S.173.
Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit (2020), Berechnungen von BBSR, GEFRA und ifo Institut. Aus: Maretzke, S. et al: Anwendung von Regionalindikatoren zur Vorbereitung der Neuabgrenzung des GRW-Fördergebiets. 2021, S. 22.
Maretzke et al. 2019., S.146 ff.
Maretzke et al. 2019., S.147.
Ebenda.
Kulke 2023, S. 23.
BBSR-Umfrage 2017/18, Berechnungen BBSR. Aus Maretzke et al. 2019, S.151.